
Werder (Havel), 25. März 2019 – Um die Wendezeit in Werder (Havel): unsanierte und erbarmungswürdig aussehende Wohnhäuser und Straßen und viele bekannte Häuser mit „So-sah-das-also-früher-aus-Effekt“ – Da werden bei alten Werderanern Erinnerungen wach, neue Werderaner werden Augen machen! Fakten, Fragmente und Fotografien, die die Stadt vor und nach 1989 darstellen, werden ab Donnerstag, dem 28. März, in der neuen Ausstellung in der Stadtgalerie Kunst-Geschoss gezeigt.
So zum Beispiel die Diashow von DDR-Bildern, die die im vergangenen Jahr hochbetagt verstorbene Kunst- und Heimatkundelehrerin Ilse Hahn 1969 für den Unterricht aufgenommen hat. Sie zeigen Werderaner Sehenswürdigkeiten – und deren damaliger Zustand. Weitere Fotos mit Stadtansichten aus der Zeit um 1989 hat Frank W. Weber aus dem Stadtarchiv zusammengestellt. Einigen der bemerkenswerten Altstadtaufnahmen werden aktuelle Aufnahmen aus derselben Perspektive gegenübergestellt, die der Fotograf Jürgen Steinberg eigens in den vergangenen Wochen für die Ausstellung erstellt hat.
Der 1. Beigeordnete Christian Große und der Kurator der Stadtgalerie Frank W. Weber stellten heute vor der Presse die Ausstellung vor, die Vernissage findet am Mittwoch statt. Anschließend ist die Schau bis Ostermontag im Schützenhaus zu sehen.
„1989 bis 2019 – das ist ein besonderes Zeitalter. Wir haben mittlerweile viele Einwohner in unserer Stadt, die die DDR nicht mehr kennen und nicht wissen, wie es damals aussah. Die Ausstellung hier zeigt das eindrucksvoll. Vieles erscheint heute so selbstverständlich, dabei haben viele Werderanerinnen und Werderaner hart an dem Erfolg mitgearbeitet, den wir heute haben“, sagte Christian Große und lobte das erneute Engagement des Kurators. Frank W. Weber hat die Exposition zusätzlich ins Galerieprogramm 2019 aufgenommen. „Um Geschichte zu verstehen, muss man wissen, woher man kommt“, begründet Große nachdrücklich die Schau, in der besonders die beiden Dia-Schauen für große Aufmerksamkeit bei den Besuchern sorgen werden.
Große selbst erlebte einen besonderen Gänsehaut-Moment, als er anhand ihrer Unterschrift sah, dass seine ältere Schwester zu den Erstunterzeichnern des Neuen Forum in Werder (Havel) gehörte. „Das wusste ich nicht“, war er sichtlich bewegt.
Auch Frank W. Weber gehörte damals zu den Gründungsmitgliedern, auf der Liste stehen weitere Namen bekannter Werderaner Familien. „Als am 29. Oktober 1989 im Werderaner Evangelischen Gemeindehaus die Unterschriften der Gründungsmitglieder des Neuen Forums geleistet wurden, stand noch die Stasi vor der Tür und schrieb die Autonummern auf“, erinnert sich Weber, der als städtischer Künstler selbst zu den 21 Unterzeichnern gehörte. Nachlesen kann man auf verschiedenen „Wandzeitungen“ auch Fakten zur Gründung des Neuen Forums in Werder und dem ersten Runden Tisch sowie erläuternde und interessante Fakten als Dokumentation des politischen Zeitgeschehens.
Außerdem wird ein Transparent gezeigt, das zur Demonstration in Werder am 3. Dezember 1989 hochgehalten wurde. „Keine Führungsrolle für die SED“, ist darauf zu lesen. Frank W. Weber erinnert sich, wie die Demonstration an jenem nebligen Tag von der Insel zum Stadtbahnhof gezogen ist. „Damals ging es darum, die erreichten Positionen zu sichern und mit den Veränderungen nicht locker zu lassen.“
Bereits ein Jahr nach der Eröffnung des Kunst-Geschosses wurde 2009 in der Stadtgalerie eine Ausstellung „20 Jahre Mauerfall“ mit den Mauerfall in ihren Werken reflektierenden Künstlern aus dem „Osten“ und aus dem „Westen” gezeigt, so Frank W. Weber. Die Ausstellung und die Feierlichkeit damals seien eigentlich nicht zu toppen, so Weber, der sich noch gut an das Konzert mit der Gruppe Keimzeit, dem Besuch und der Festrede des damaligen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Reinhard Höppner und dem anschließendem Marsch von der Heilig-Geist-Kirche zur Galerie erinnert.
“Die Mauer ist mittlerweile länger verschwunden, als sie Deutschland geteilt hat“, stellt Weber fest. Man müsse das Thema nach dreißig Jahren nun anders angehen, lokal auf Werder bezogen darstellen. “Statistisch sind dreißig Jahre eine Menschengeneration. Was weiß die Generation von dem, was damals war. Was weiß die Generation noch, die damals alles miterlebte?“, waren die Fragen, die zu den Exponaten führte und Antworten liefert. Neben den Fakten, Fragmenten und Fotografien wird die Ausstellung um Kunst erweitert: Einige Wende-Bilder von Frank W. Weber selbst und ein großformatiges Gemälde des Potsdamers Wolfgang Liebert zeugen von der Stimmung, die damals unter den DDR-Intellektuellen herrschte. Liebert wird übrigens Ende September 2019 im Kunst-Geschoss zu seinem 75. Geburtstag mit einer Retrospektive geehrt.
Neben den Bildern von Ilse Hahn werden in einer weiteren Dia-Schau 75 Bilder gezeigt, die Werder um 1989, ’90 und ’91 zeigen. Einige Bilder sind noch älter, beispielsweise Fotos vom Bau der Haeckel-Schule. „Hier werden viele Erinnerungen wach“, glaubt Weber. Die Faktentafeln an den Wänden zeigen auf, wie sehr sich das Leben in der Blütenstadt verändert hat: Noch 1989 heizten 71 Prozent der Werderaner mit Kohlen. Oder wieviel Prozent der Werderaner waren an das Abwassernetz angeschlossen – 35 Prozent, verweist er beispielhaft auf die damalige „Jauchegrube“ auf der Inselstadt, die seinerzeit alle zwei Tage von der ZBE abgefahren wurde. „Wenn die mal verhindert waren, schwappte die einfach über“, so Weber mit unguten Erinnerungen an den Geruch.
An einem Lesetisch können Interessierte in den bislang sechs erschienenen Bänden der „Werder-Chronik“ nachlesen. Direkt in der Ausstellung können die Besucher außerdem an einem Quiz zur Wendezeit teilnehmen, Hauptgewinn ist diese siebenbändige Chronik von Werder (Havel). Jede richtig ausgefüllte Quiz-Beteiligung erhält sofort eines der begehrten Wimmelbilder, das der Künstler Peter Menne zum 700-jährigen Jubiläum der Stadt erstellte. Zwei weitere Hauptpreise sind je ein Satz „Goldmünzen“, die es seinerzeit zur ersten Baumblüte in freier Marktwirtschaft gab.
Weber dankte dem städtischen Mitarbeiter der Kulturabteilung Juraj Petrov und der Mitarbeiterin des städtischen Archivs Anja Krüger für die große Unterstützung bei der Vorbereitung der Ausstellung. „Die Ausstellung richtet sich an alle Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt. Es handelt sich um eine Exkursion in die jüngere Geschichte von Werder (Havel), die zeigt, wie die Werderaner die Geschicke im Wendejahr 1989 und mit der ersten freien Kommunalwahl 1990 selbstbewusst und selbstbestimmt in die eigenen Hände nahmen“, sagt Kurator Weber. „Die Altgeneration erkennt die Situation von damals, die Neugeneration und auch die neu nach Werder gezogenen Menschen bekommen einen wertvollen Eindruck, wie sich Werder verändert hat – eine Identität fördernde Ausstellung.“ (wsw)
“30 EINE GENERATION.” Vom Donnerstag, 28. März, bis Ostermontag, 22. April, immer Donnerstag, Samstag, Sonntag von 13-18 Uhr geöffnet. Nicht am Karfreitag geöffnet!
Stadtgalerie KUNST-GESCHOSS, Uferstraße 10, 14542 Werder (Havel) Inselstadt, Eintritt frei!
