Werder (Havel), 7. Februar 2020 – Im Büro von Bürgermeisterin Manuela Saß stellte der Ortschronist Dr. Baldur Martin am heutigen Freitag seine „Chronologie der Baumblütenfeste in Werder (Havel)“ vor. „Wenn man von Tradition spricht, sollte man die Tradition auch kennen“, findet Bürgermeisterin Manuela Saß. „Die Stadt Werder (Havel) ist bestrebt, das Baumblütenfest zu erhalten. Und die Chronologie von Dr. Baldur Martin kann zur Versachlichung der Debatte beitragen.“
„Ärger und Akzeptanzprobleme sind kein Phänomen unserer Zeit“, heißt es im Vorwort. Bereits im Jahre 1926 wurden Rufe laut, den „übertriebenen Rummel einzudämmen“, um die Werderschen Blütentage wieder zu einer erhabenen Naturfeier zu machen, zu der die Besucher kommen, um die Blütenpracht zu genießen. So sehr wie sich die Zeiten seit Beginn des Festes im Jahre 1879 änderten, so oft habe es auch Zäsuren in der Ausrichtung des Festes gegeben.
„Anlass für diesen Chronologie-Versuch solle es sein, einer gewissen, in Werder nicht unüblichen Legendenbildung entgegen treten zu können“, führt Dr. Martin auf den ersten Seiten der 48-seitigen Dokumentation aus. Eine lange Recherche im geheimen Staatsarchiv-Preußischer Kulturbesitz, dem brandenburgischen Landeshauptarchiv und unter anderem in der Landesbibliothek Potsdam ging dem Buch voraus, welches jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Dem ersten Blütenfest ging seinerzeit die Gründung des Werderaner Obstbauvereins voraus. Schon rund ein halbes Jahr später fand im Jahr 1879 die erste Baumblüte statt. Beworben in den großen Berliner Gazetten fanden 50.000 Hauptstädter den Weg nach Werder, tranken Bier und Saft und machten das Fest zu einem unerwarteten Erfolg.
Bereits nach 15 Jahren um 1894 wurden erste Klagen laut, die bis zum Ende der 1890er Jahre nicht wirklich leiser wurden. Ein hoher Konkurrenzdruck von außen drängelte sich zwischen die einheimischen Obstproduzenten, Leierkastenspieler und Bettler säumten die Straßen und die Qualität von Bier und Wein wiedersprach den hohen Preisen. Immer mehr Berliner kamen und füllten die Höhengaststätten.
Auch der drohende 1. Weltkrieg hielt den Mittelstand nicht von einem Besuch der Blüte ab, bis 1916 die Ernten beschlagnahmt wurden, um die Versorgung des Heeres zu sichern. In der Nachkriegszeit waren Hamsterkäufe der Berliner an der Tagesordnung, Diebstähle verschärften die Lage der Obstbauern, die Weinproduktion wurde verboten. Erst im Jahr 1919 wurde sie wieder erlaubt, was eine Neuauflage der Baumblüte ermöglichte, die dem Obstbau in den Folgejahren einen Aufschwung brachte.
Auch während des 2. Weltkrieges wurde die Obstgetränkeindustrie als hervorragendes Beispiel für Leistungsfähigkeit gewürdigt, bis im März 1942 ein Aufruf des Reichsernährungsamtes an die Gärtner zur Leistungssteigerung einging, um die Ernährung sicherzustellen. Obstwein durfte nicht mehr produziert werden. Auf dem Baumblütenfest im selben Jahr gab es keinen Obstweinausschank, trotzdem kamen rund 25.000 Besucher am ersten Blütensonntag.
Bis Kriegsende gab es einen riesigen Bedarf an Obst, die Anbauflächen waren jedoch weitestgehend verwildert und zersplittert. Den nach Kriegsende vorhandenen Wein knüpften sich die russischen Soldaten vor, die u.a. beim Obstzüchter Fritz Heidemann einquartiert wurden.
Zu Beginn der 1950er Jahre fand das Fest in begrenztem Rahmen statt, da der Obstabsatz durch das Ablieferungssoll stark reglementiert war. Durch die sozialistische Umgestaltung, die nur 1500 Quadratmeter für die individuelle Produktion vorsah, war das Interesse an der Herstellung von Obstweinerzeugnissen gering und wurde nur durch einzelne Hobbyerzeuger weiter betrieben.
In der DDR waren die Obstbauern zur Versorgung der Bevölkerung mit Obst angehalten. Dadurch war der Verkauf von Obstwein logischerweise reglementiert, teilweise gar gänzlich untersagt. Die Westberliner blieben aus und die Ostberliner fuhren lieber zu den Erzeugern in Richtung Oder. Das Blütenfest wurde in dieser Zeit als lokales Volksfest gefeiert, hatte nur noch wenig Tradition und die Werderaner versuchten, das Beste daraus zu machen.
Erst im Jahr 1973 hatten die Westberliner wieder die Möglichkeit, nach Werder zu fahren. In den späten 1970er Jahren fand das Fest hauptsächlich auf der Insel statt. Das 100. Blütenfest wurde 1979 opulent gefeiert, fiel im Folgejahr deshalb gänzlich aus und wurde in den sich anschließenden zehn Jahren klein als „Volksfest der werktätigen Gärtner“ gefeiert.
Erst in den 1990er Jahren begann sich das Fest, so wie wir es heute kennen, zu entwickeln. Die immer größer werdenden Besucherströme erforderten Anpassungen im Konzept, Entzerrungen, Neuausrichtung und nicht zuletzt Sicherheitsmaßnahmen, die heute ein historisches Höchstmaß in der Geschichte des Baumblütenfestes erreicht haben. Anders als in der Vergangenheit wurde das Fest seither nicht durch äußere Umstände, wie etwa Weltkriege und Inflationen, auf ein gesundes Maß zurückgeführt.
„Heute ist es die steigende Zahl an Einwohnern, die das bisherige Konzept nicht mehr mitträgt“, wird der Grund für die Neuausrichtung im Vorwort genannt. Eine Beteiligung der Einwohner an der Gestaltung des Festes findet so das erste Mal in seiner Geschichte statt. Ein Prozess, der nun hoffentlich zu einem Konzept führt, das das Fest für die Zukunft sichert und Wirtschaft, Allgemeinwohl und Tradition in Einklang bringt. (wsw)
