Was macht der Mann da auf dem Thron der Blütenkönigin? Ob Ihr es glaubt oder nicht – Oliver Hellwig sitzt seit über zehn Jahren immer auf dem Thron, bevor die jeweils neue Baumblütenkönigin Platz nehmen darf! Er ist ein Urgestein des Werderaner Baumblütenfestes, der Berliner ist in Werder bekannt wie ein „bunter Hund“. Dass er bei der Organisation und der Umsetzung mitarbeitet und am Gelingen des jährlichen Spektakels einen erheblichen Anteil hat, wissen vielleicht nicht alle. Denn außer beim Thron-Foto bleibt „Olli“ lieber im Hintergrund, ist dort aber umso nachhaltiger tätig. Wir haben Oliver Hellwig getroffen und mit ihm ein Sonntagsfragebogeninterview der besonderen Art geführt.
Was sind Deine ersten Erinnerungen an die Baumblüte?
Ich kenne die Blüte von meinem Opa. Der hat von Oma nämlich immer Ärger bekommen, wenn er zum Schwofen weg war. Von Berlin-Friedrichshain ist er nach Werder zur Baumblüte rausgefahren. Und dann mit 14, 15, 16 dachte ich mir, da kann man doch auch mal hinfahren. Mit dem Zug war das damals eine Weltreise, da gab es die direkte Verbindung ja noch nicht. Als man Westberlin dann umfahren hatte und hier in Werder ankam, war es einfach nur schön. Dass man das alles selbst mal organisiert und zu dem macht, was es heute ist, daran war früher nicht zu denken.
Wie fing denn alles an?
Früher gab es den Plantagenplatz, wie man ihn heute kennt, noch nicht. Da gab es neben einem gemauerten Bushaltestellenhäuschen einen Imbiss, eine Zuckerwattebude und eine kleine Bühne, auf der habe ich für die Kinder Programm gemacht. Ab und an gesellte sich auch der eine oder andere Betrunkene zur Bühne, um das Programm zu stören. Ich habe dann ganz einfach eine Polonaise angezettelt, mir die Störenfriede geschnappt und am anderen Ende des Platzes wieder abgestellt. Ohne viel Aufhebens. Dann kam Kalle (Karl-Heinz Horn, Anm. d. Redaktion), der seit Jahren für das Bühnenprogramm zuständig ist, auf mich zu und wir sprachen über Marktleitung und Organisation. Ob ich mir das zutrauen würde. Na klar! Dann haben wir angefangen, die Stadt miteinander zu gestalten. Ich erinnere mich gern daran zurück, wie mich Werner Große einmal begrüßte: „Ach Olli, du bist wieder in der Stadt. Dann gibt‘s ja jetzt Frühling.“ Als wäre ich der Wachküsser von den Blüten. Und es stimmt ja, mit uns erwacht die Blütenstadt aus dem Winterschlaf.
Wie heißt deine Position eigentlich richtig?
Marktleiter, Produktionsleiter, Organisator … es gibt so viele Benennungen. Aber eigentlich bin ich nur ein Olli. Am Ende des Tages bin ich der, zu dem alle kommen, wenn sie eine Frage oder ein Anliegen haben. Doch ich bin natürlich nicht allein für den Erfolg der Blüte verantwortlich. Die alten Haudegen, die das alles damals groß gemacht haben, sind Walter Kassin, Klaus-Dieter Bartsch, Gudrun Thonike und Hartmut Schröder. Der Spirit in Werder war schon immer: Jeder hat etwas in die Hand genommen und etwas bewegt. Und das ist einfach toll.
Herzstück der Baumblüte in der Kernstadt sind die zahlreichen Marktstände, die vom Hohen Weg in das Stadtzentrum hinein bis hin zum Marktplatz auf der Insel die Straßen säumen …
Die Stände spiegeln letztendlich die Trends wider, wie die Industrie auf die Straße wirkt. Da kamen einst die Containerschiffe aus China, haben ihren Schnickschnack hier abgeworfen und den kleinen Einzelhändlern angeboten und so kam das auch hier auf die Straße. Und so fand man neben Obstwein- und Futterständen auch mal Piercer und diverse Sockenverkäufer. Neben den Sachen aus China wurde auch Kunsthandwerk angeboten. Doch das etablierte sich nicht.
Ein weiterer großer Besuchermagnet sind die Schausteller …
Die Schausteller und Marktstandbesitzer kamen schon immer aus der ganzen Bundesrepublik. Das war damals ein höchst spannendes Thema. Da waren auf einmal Leute vom Hamburger Dom da, vom Münchner Oktoberfest, vom Cannstatter Wasen. Wir konnten viel von den Schaustellern aus anderen großen Städten lernen und die auch von uns. Da kamen in den Jahren viele Geschäfte, die wir vorher so nicht kannten: Wasserbahnen, mobile Riesenräder, Bungee-Kräne. Daraus haben wir dann etwas gebastelt, um immer wieder neue Höhepunkte für die Besucher zu schaffen. Viele von den Schaustellern von damals sind auch heute noch bei der Baumblüte dabei, z. B. Familie Welte oder Familie Groß. Die haben das Fest mit groß gemacht.
Die wachsende Beliebtheit der Baumblüte hatte auch ihre Schattenseiten. Irgendwann kam der Moment, in dem die Stadt mit der Masse an Besuchern nicht mehr zurecht kam, wo es gefährlich wurde.
Viele Faktoren spielten eine Rolle, dass von dem einstigen idyllischen Familienfest die Familien immer öfter fernblieben. Dadurch, dass die Zugverbindungen immer schneller wurden und auch die Weiße Flotte immer mehr Besucher nach Werder gebracht hat, veränderte sich über die Jahre die Publikumsstruktur. Besonders Familien mit kleinen Kindern mieden am Wochenende das Fest und besuchten unter der Woche lieber die etwas entfernten Obstgärten. Das war den Verantwortlichen in der Stadt sehr recht. Wir haben ja auch eine gewisse Verantwortung den Menschen gegenüber, sowohl gegenüber den Besuchern, als auch gegenüber den Händlern und den Anwohnern. Wir haben uns mit der Polizei, den Sicherheitskräften, den Rettungsdiensten, der Feuerwehr und den Verantwortlichen zusammengesetzt und sind das Thema Sicherheit nochmal ganz neu angegangen. Da haben wir zum Beispiel beschlossen, dass es den Obstwein nur noch in Plastikflaschen gibt. Der Aufschrei damals war riesig. Heute kann man sich Glasflaschen auf dem Festgelände gar nicht mehr vorstellen. Über die Jahre hat sich ein hochprofessionelles Netzwerk aus verschiedenen Kompetenzen entwickelt. Wir haben es gemeinsam geschafft, dass sich die Baumblüte wieder zu einem Familienfest gewandelt hat.
Die Erfahrungen, die wir bei der Planung und Durchführung der Baumblüte machen, können wir beispielhaft auch auf andere Events übertragen. Wohlthat Entertainment hat u.a. die „Fanmeile“ erfunden und dafür können wir aus dem Erfahrungsschatz aus Werder schöpfen.
Wir haben also die Volksfestkultur nach Berlin gebracht?!?
Das kann man so sagen: Ein Exportschlager aus Werder.
Gibt es irgendwelche Anekdoten, an die Du Dich gern erinnerst?
Nie vergessen werde ich Oma Muschke. Sie hat immer auf ein Kissen gelehnt am Fenster gesessen in der Torstraße vor der Insel und hatte alles im Blick. Oma Muschke wusste immer Bescheid. Wenn ich mit meinem Moped umher gefahren bin und auf der Suche nach jemandem war, wusste sie genau, wo ich ihn finde. Frau Muschke war das Auge in der Torstraße. In einem Jahr haben wir bei der Planung der Stände nicht nachgedacht und einen 3×2 Meter Stand vor ihrem Fenster geplant. Beim Aufbau war noch nicht mal das Dach auf der Hütte, da klingelte mein Telefon – Oma Muschke war dran. Bei Kaffee und Kuchen habe ich beim Blick aus ihrem Wohnzimmerfenster gleich meinen Fehler bemerkt. Innerhalb weniger Minuten wurde die Hütte kurzerhand um ein paar Meter versetzt und Oma Muschke hatte wieder freien Blick.
Es gibt viele Bilder von Dir, auf denen Du auf dem geschmückten Bastthron Platz nimmst. Bist Du der heimliche „Blütenkönig“?
Das fing an, als der Baumblütenball auf die Bismarckhöhe verlegt wurde. Nachdem die Bismarckhöhe lange in Privatbesitz war, hatte die Stadt irgendwann die Möglichkeit, sie zurück zu kaufen. Viele Hände haben aus dem verwilderten und verborgenen Fleckchen Erde ein wahres Juwel gemacht. 2007 feierte man den ersten Baumblütenball in dem wunderschönen Saal. Kurz vor Beginn herrschte geschäftiges Treiben, es wurde noch final dekoriert und ich habe mir einfach den Gag gemacht und mich auf den Thron gesetzt. Der Moment wurde auf einem Foto festgehalten und seitdem hat sich die Tradition entwickelt, dass ich vor dem Beginn des ganzen Spektakels auf dem Thron Platz nehme.
Nach der Blüte ist vor der Blüte – wie lange sind die Nachwehen im Anschluss an die Festwoche?
Die Blüte hört traditionell mit einem wunderschönen Feuerwerk an der Föhse auf. Wenn alle Besucher beseelt von dem funkelnden Abschluss nach Hause gehen, krempeln wir die Ärmel hoch und starten mit dem Abbau. Montagmorgen beginnt der normale Berufsalltag wieder – bis dahin müssen die Straßen weitestgehend frei sein. Montag, Dienstag und Mittwoch wird die Stadt in der Stadt endgültig abgebaut und dann ist die Blüte auch schon wieder Geschichte.
Im Anschluss packe ich meine Koffer im Hotel, esse noch mal Spargel mit Schnitzel und fahre wieder nach Hause. Und dann geht schon die Planung für die nächste Veranstaltung los.
Was ist Deine Lieblingsweinsorte?
Um ehrlich zu sein, bin ich kein großer Weintrinker. Ab und an gönne ich mir mal ein Becherchen, aber ich mag lieber Bier. Nach der Blüte nehme ich aber immer einige Flaschen mit nach Hause, z. B. Rhabarber, schwarze Johannisbeere, Knupperkirsche und Erdbeere. Aus letzterem macht meine Frau gerne eine Bowle mit Sekt und frischen Erdbeeren. Gerne greife ich auch zu den Weinen, die mit der Goldenen Kruke ausgezeichnet wurden. Da macht man nie was verkehrt. Der Wein ist das Produkt, das die Region stark gemacht hat. Neben dem Ketchup natürlich.
Sind für die Zukunft irgendwelche großen Veränderungen geplant?
Jedes Jahr gibt es kleine Veränderungen z. B. innerhalb des Programms. Große Veränderungen stehen jedoch nicht an. Warum auch?
Was die Baumblüte auszeichnet, ist die Tradition, die Beständigkeit. Deswegen kommen die Besucher ja her. Heute konzentrieren wir uns mehr auf das Thema Sicherheit und da optimieren wir jedes Jahr aufs Neue das Konzept.