Kurz & knackig
Name: Rosemarie Penquitt, geb. Präger
Alter: 78 Jahre
Wohnort: Werder (Havel)
Seit wann in Werder zu Hause: seit dem Tag meiner Geburt
Haben Sie Kinder: Ich habe einen Sohn und eine Tochter.
Über unsere Blütenstadt Werder (Havel)
Wie würden Sie Werder einem Fremden beschreiben?
Werder ist eine wunderschöne Stadt, ich bin mein ganzes Leben hier geblieben.
Was machen Sie den lieben langen Tag?
Ich brauche nun keine Büroarbeiten mehr zu erledigen und seit über 50 Jahren verbringe ich mit meinem Mann die Freizeit auf unserem Boot auf den Gewässern rings um Werder. Wir haben unser Häuschen mit Garten, welches wir tagtäglich genießen.
Was würden Sie lieber machen?
Ich habe keine Wünsche, die diese Frage beantworten könnte. Wir sind glücklich und zufrieden.
Rummel oder Muckergarten? Wo ist Ihr Lieblingsort auf der Baumblüte?
Zu Hause. Bis vor zwei Jahren war ich noch mit dabei, wenn es zum Baumblütenumzug ging. Nun bin ich Zuschauerin.
Welchen Obstwein bevorzugen Sie?
Wir sind nicht so die Obstweintrinker, wir bevorzugen die Säfte und Milch.
Sie – ganz speziell
Können Sie uns etwas über sich erzählen?
Ich bin 1939 in Werder (Havel), Fliegersiedlung (heutige Brünhildestraße), geboren. Als die „Russen“ kamen, sind meine Mutti (Gertrud Präger) und ich zu meinem Großvater in die Potsdamer Str. 17 in die Waschküche gezogen, denn im Haus wohnten meine Großeltern und die Uroma Frieda Schultze. Als mein Vater (Paul Präger) aus dem Krieg zurückkam, zogen wir in eine Hütte – mit viel Land drumherum – in die Rosenstraße. Da ich fast unterernährt und viel krank war, schaffte mein Vater eine Ziege und Hühner an, ich bekam viel Milch und konnte auch Zuckereier essen. Auch wurden Pferd und Hund angeschafft. Meine Mutti bewirtschaftete den Garten und pflanzte viel Gemüse an. Bereits 1946 meldete mein Vater einen Pferde-Fuhrbetrieb an.
Zur Schule musste ich täglich 3,5 km (pro Strecke) laufen, denn es fuhr zu dieser Zeit noch kein Bus in die Randregion von Werder. Dadurch kam ich oftmals zu spät und Fräulein Rotraut Müller – meine Lehrerin – zog mir die Ohren lang. Aber sonst war sie eine sehr liebe Lehrerin.
Ich hatte eine sehr schöne Kindheit, denn ich konnte mit Tieren aufwachsen. Mit unserem Pferd und Hund bin ich im Plessower See baden gegangen. Auch hatten wir einen Esel, ein verrücktes Vieh. Später zogen wir noch zweimal um und wohnten dann in einem kleinen Holzhäuschen in der Kemnitzer Chaussee. Hier führten meine Eltern einen Obst-Aufkauf. Von hier aus durfte ich mit Pferd und Wagen durch die Wege fahren und von den Kleinerzeugern das Obst einsammeln. Oft halfen die Nachbarsjungen. Auf diesem Grundstück steht leider kein Baum mehr.
Nach Schulschluss ging ich zum Hallenradsport. Dort führte mich mein Großvater und Obstzüchter Alex Schultze in den Sport ein. Er war selbst ein 4er-Kunstradfahrer „Alte Herren“. Ich war 12 Jahre alt und fuhr zuerst Reigen, dann 1er- und 2er-Kunstrad. Es machte viel Spaß. Dann kam unsere hauptamtliche Trainerin (Frl. Hanna Heinze) und wir trainierten täglich abends zwei Stunden. Es zahlte sich aus! Ich schaffte es, acht Mal den DDR-Meister-Titel zu erringen. Wir wurden auch mehrfach nach Westdeutschland zu Wettkämpfen eingeladen. Die schönste Fahrt war gemeinsam mit meiner Trainerin nach Bonn zu einer Vereins-Jubiläums-Feier. Dort durfte ich gegen die amtierende westdeutsche Meisterin starten – und gewann! Es entwickelte sich eine Freundschaft mit einer Kunstradfahrerin, die bis heute Bestand hat, wir schreiben und telefonieren regelmäßig.
Die Besten des Landes wurden in einem Jahr zu Vorbereitungslehrgängen (heute sagt man dazu Trainingslager) gesandt, wir sollten anschließend zu den Weltmeisterschaften nach Frankreich. Einen Tag vor der Abreise erhielten wir alle die Nachricht – keine Einreiseerlaubnis. Da war ich so traurig, denn es sollte eigentlich meine letzte große sportliche Veranstaltung werden. 1962 hörte ich mit dem aktiven Sport auf. Vom damaligen Bürgermeister Olschowski bekam ich als Anerkennung eine Kristallbowle. Diese halte ich bis heute in Ehren.
Im Gründungsjahr des Karnevalsvereins Werder war ich auch Mitglied der Prinzengarde. Wir hatten wunderbare Auftritte und tolle Kostüme.
Ich absolvierte acht Klassen (was zur damaligen Zeit normal war). Eigentlich wollte ich technische Zeichnerin werden, bekam aber leider keine Lehrstelle, das ehemalige Schaltgerätewerk hatte ein Jahr zuvor die letzten Lehrlinge in diesem Beruf ausgebildet. Also blieb ich zu Hause. Nach einem Vierteljahr kam Herr Lück (Direktor der damaligen Berufsschule) zu uns nach Haus und war der Meinung, so geht das nicht. Sie steckten mich in eine zusätzlich eingerichtete Stenografie-Klasse. Mit Abschluss der Ausbildung bekam ich eine Anstellung beim Rat der Stadt, Abt. Sport und Soziales. Hier arbeitete ich viel mit dem Stadtverordneten Eduard Seidel zusammen. 1960 wechselte ich zum Straßenunterhaltungsbetrieb (SSUB) in die Brandenburger Straße. Dort arbeitete ich zuerst als Stenotypistin und machte dann Karriere bis zur Abteilungsleiterin. Meine Aufgabe war die Betreuung und Verwaltung der Chaussee-Häuser. Dieser Betrieb hatte auch eine kleine Kulturgruppe, bei Betriebsveranstaltungen traten wir regelmäßig auf und tanzten u.a. Charleston. Auf einer Gewerkschaftsfahrt des Betriebes lernte ich meinen späteren Ehemann Manfred kennen. 1965 heirateten Manfred und ich.
Zuvor beantragte ich eine Wohnung bei der AWG, welche es bereits damals schon gab. Doch mein Antrag wurde abgelehnt, denn es wurde nicht mehr gebaut. Da kaufte ich eine kleine Wohnlaube mit Garten in der Nähe meiner Eltern. Nachdem der Vorbesitzer, ein alter Herr, auszog, gestalteten wir uns das Häuschen nach und nach um und machten es uns wohnlich. Wir bekamen damals noch keine Baugenehmigung, keinen Kredit, kein Material und durften keinen Handwerker in Anspruch nehmen. Aber als Sportler ist man ehrgeizig und hartnäckig. Mein Manfred und ich waren uns einig, dass nicht gleich alles fertig sein muss. Zum Jahresende 1965 bekam ich meine Tochter Jeanette, blieb zu Haus und machte Heimarbeit für den Betrieb. So konnte ich meine Tochter selbst großziehen und sie musste nicht in Krippe und Kindergarten. 1968 kam unser Sohn Ralf zur Welt. Es war eine schöne Zeit, die Kinder aufwachsen zu sehen. Sie gingen beide später in die Haeckel-Schule. Ich legte Wert darauf, dass die Kinder Sport trieben und Kameradschaft lernten. Die Tochter war beim Judo und Tischtennis, der Sohn beim Fußball und viele Jahre beim Rudern.
Mein Vater betrieb 30 Jahre den Fuhrbetrieb. Die Weiterführung eines Privatunternehmens in der DDR- Zeit wurde gelockert. Doch der Rat des Kreises wollte uns keine Genehmigung erteilen. Nachdem mein Vater gedroht hatte, die Autos beim Kreis auf den Hof zu stellen, die Angestellten zu entlassen, die Transporte der behinderten Kinder nach Potsdam und die Verteilung der Schulspeisung einzustellen, erhielten wir einen Tag vor Silvester 1977 die Genehmigung zur Weiterführung des Unternehmens. Er übergab uns den Betrieb, nach und nach wurden die Lkw erneuert und wir erhielten einen Abstellplatz. Mein Mann – ein ehemaliger Busfahrer – war nun für die Angestellten und Autos zuständig, ich im Büro. Ersatzteilbeschaffung war das schwerste Geschäft. Neues war nicht zu erhalten. Wir fuhren mit Körben von Erdbeeren oder Spargel durch das Land, um gebrauchte Ersatzteile kaufen zu können. Für Fahraufträge und Dieselmarken – ohne diese konnten wir nicht tanken, denn nichts ging ohne Zuteilung – mussten wir uns dem staatlichen Kraftverkehr (Eisenbahnstraße) anschließen. So gingen wieder etliche Jahre ins Land.
Mit der Wende 1989/1990 verloren wir unsere Arbeit und die Lkw waren nichts mehr wert. Wir verkauften sie für 1 DM nach Russland und Polen.
Wir hatten viel Glück, denn es fand sich eine Spedition in Krefeld, die mit uns zusammenarbeiten wollte. Die Herren besorgten uns einen Kredit und so konnten wir Sattelzugmaschinen und Auflieger kaufen. So viele Schulden hatten wir noch nie. Uns sagte man, dass seien keine Schulden, sondern Verbindlichkeiten, denn wir hätten ja jetzt Arbeit. Das waren ehrliche Partner, auf die wir bauen konnten. So führten wir insgesamt 28 Jahre unseren Fuhrbetrieb. Mit dem Renteneintritt meines Mannes 2005 übergaben wir den Betrieb an unseren Sohn, der ihn noch immer betreibt.
Der Radsportverein ist mit seinen 123 Jahren ein sehr alter Verein in der Blütenstadt. Erzählen Sie uns ein bisschen von den Anfängen?
Der Radsportverein Borussia Werder war in den Anfangsjahren ein Verein des Männersports und wurde 1895 durch die Werderschen Obstbauern gegründet, welche nicht am örtlichen Turnsport interessiert waren. Die Mitgliederzahl schwankte in den Anfangsjahren zwischen 25 und 30. Die damalige Trainingsstätte war ein Gesellschaftshaus (heute würde man dazu Gaststätte mit Saal sagen) und sein erster Vorsitzender war Karl Gleinig. 1901 wurde ein zweiter Radsportverein aus der Taufe gehoben, dieser legte sich den Namen „Radfahrerverein Borussia 1901“ zu, hier war Heinz Scholz der Mann, der die Zügel inne hatte. Diese Männer trainierten auf der Bismarckhöhe. Trainingsmaterial waren normale Tourenräder. 1908 schlossen sich beide Vereine zusammen und gaben sich den Namen „RV Borussia Werder 1895“ und hatten ihr Domizil auf der Bismarckhöhe. Die hohe Mitgliederzahl erlaubte es, auch Schmuck-, Flaggen- und Schulreigen sowie Korsofahrten durchzuführen. Bei gemeinsamen Ausfahrten gab es sogar eine Kleiderordnung! Hier waren dunkler Klubanzug, weiße Wäsche mit schwarzer Schleife, weiße Mütze, hohe Schnürschuhe und weiße Handschuhe vorgeschrieben.
Waren es vorher die Wanderfahrten, wurde nunmehr der Saalsport Schwerpunkt des Vereines. Schon damals waren alle sehr ehrgeizig und brachten es im Sechser-Kunstfahren, im Flaggenreigen u.a. Disziplinen zu vielen ersten Plätzen. Unter der sportlichen Leitung von Willibald Krause konnten sich die Werderschen bald zu den Besten im damaligen Deutschland zählen. Eine besonders schöne Disziplin war der Schmuckkorso – bei einer Starterzahl von 180 startenden Vereinen holte sich der RV Borussia Werder im Jahr 1920 in Halle (Saale) den ersten Platz. Dazu muss man wissen, beim Schmuckkorso starten 30 Kunstradfahrer, welche in Gleichmäßigkeit der Vorführung und Bekleidung bewertet wurden!
Steigen Sie heute noch aufs Rad?
Heute steige ich nicht mehr aufs Kunstrad. Durch meine vielen OP’s an Bandscheibe und Wirbelsäule habe ich eine Querschnittslähmung und kann leider nicht mehr aktiv diesen Sport betreiben. Ich begleite und betreue unsere Reigendamen und auch unseren Nachwuchs. Den Kindern sage ich immer, ihr müsst Geschicklichkeit und Ausdauer haben. Die erste Belohnung für gute Trainingsarbeit ist bei uns die Teilnahme am Baumblütenumzug.
1995 – zum 100-jährigen Bestehen des Vereines, gestalteten wir einen großen Umzug durch die Stadt. Zu dieser Zeit stieg ich wieder aufs Rad, unsere ehemalige Trainerin – Hanna Nähring – trainierte uns wie in alten Zeiten und daher konnten wir wieder an Wettkämpfen teilnehmen bis hin zu den Ostdeutschen Meisterschaften, auf denen wir als Siegerinnen gekürt wurden.
Kunstradfahren ist Artistik auf dem Rad, einem Spezialrad, welches nur von drei Firmen in Deutschland gebaut wird und auch sehr teuer ist. Beim Kunstradfahren und beim Radball bekommt man eine sehr gute Figur sowie Kraft und Geschicklichkeit. Das Einradfahren führten wir nach 2006 ein. Fußball kann jeder, aber Ballspielen mit dem Rad oder Turnen auf dem Rad, das hat was.
Wie steht es um den Nachwuchs im Verein? Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen?
Kunstrad erlernen kann nicht jede(r). Dazu gehören Mut, Ausdauer und der Wille, diesen besonderen Sport zu erlernen. Jedes Kind oder jeder Erwachsene hat sein eigenes Zeitgefühl, um die Übungen zu erlernen. Manche schaffen es innerhalb von wenigen Monaten, andere benötigen Jahre. Wir beginnen mit Grundübungen, um Sicherheit auf dem Rad zu gewinnen, danach wird die Schwierigkeit gesteigert. Aber immer mit Hilfe und Unterstützung.
Die Kinder lernen die richtige Haltung und auch das Abspringen vom Rad. Einrad bin ich nie gefahren. Diese Sportart lehrt meine Tochter. Im Kunstrad, Radball und Einrad sehen wir Nachwuchs sehr gern, aber auch Eltern, die dieses erlernen möchten, sind willkommen. Derzeit lernt eine Mutti gemeinsam mit ihrer Tochter das Einrad fahren! Unser Verein hat sein Domizil in der Sporthalle des Ernst-Haeckel-Gymnasiums. Einfach vorbeikommen und selbst probieren.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten – welche wären das?
Gesundheit, Gesundheit und ein langes Leben.
Welches Buch liegt derzeit auf Ihrem Nachttisch?
Ein Liebesroman von Hedwig Courths-Mahler.
Haben Sie einen Lieblingsfilm oder -serie? Warum?
„In aller Freundschaft“ – warum, kann ich nicht sagen.
Haben Sie ein verborgenes Talent?
Mein Talent war mein Sport – mehr muss ich dazu nicht sagen, oder?
Lieben Sie Tiere? Wenn ja, Katze oder Hund?
Ja, sehr, beides.