Mein Werder (66): Michael Schultz

Kurz & knackig

Name: Michael Schultz
Alter: Geboren im Jahr 1971 in Potsdam und aufgewachsen zwischen Obstkisten, Traktoren und in den Plantagen rund um Elisabethhöhe. In den verwilderten Gärten habe ich schon in jungen Jahren mit meinem Kumpel Äpfel gesammelt, die wir dann auf alten Kinderwagengestellen, da passte genau eine DDR Obstkiste rein, auf den Hof gezerrt haben. Manchmal drei vier Wägen aneinander gereiht – einer schiebt, einer zieht. Zu DDR-Zeiten gab es dafür ein paar Pfennige, aber dadurch hatten wir immer eine Münze und konnten damit auf den Rummel nach Brandenburg fahren.  Und wenn wir nicht gerade Äpfel verkauft haben, haben wir wie alle anderen Jungs Buden gebaut und einfach eine gute unbeschwerte Zeit gehabt.
Später dann Polytechnische Oberschule in Glindow, Jungpionier, Thälmannpionier, Freie Deutsche Jugend. Gelernt habe ich bei der LPG Gärtner für Obst und Gemüse im Freiland, war ja naheliegend. Als bester Lehrling war es vorgesehen, dass ich nach Dresden ging, um Pflanzenschutz zu studieren, aber dann fiel die Mauer und ich habe sofort eine Stelle als Gärtner in Rudow angenommen. Die Fahrt dorthin jeden Tag war nicht so schön, aber 1991 haben sich meine Eltern dann selbstständig gemacht. 

 

Wie würden Sie Werder einem Fremden beschreiben?

Die Region ist geprägt von viel Wasser, Feldern, Obstbäumen, ein bisschen Wald und einer guten Anbindung an die großen Städte. Man hat hier alle Möglichkeiten, die Infrastruktur stimmt einfach. Ob mit Bus, Bahn, Auto, Fahrrad oder zu Wasser – eine gute ländliche Struktur,  im Ortskern oder in den Ortsteilen ist einfach alles gut zu erreichen. Natürlich ist Werder auch durch sein mildes Klima durch die umliegenden Havelseen geprägt. Und wer nicht so der Wassertyp ist, kann über die Glindower Platte, die Obstplantagen radeln oder einfach die märkischen Wälder genießen.

Haben Sie einen Lieblingsort in Werder?

Also ich bin sehr gerne hier oben auf dem Telegrafenberg und zeige meinen Gästen von dort die Gegend. Man hat hier einfach einen schönen Überblick über Wald, Wiesen, Plantagen und natürlich das Wasser.

 

Rummel oder Muckergarten? 

Wo ist Ihr Lieblingsort auf der Baumblüte?

Mit den Kindern ist einmal Rummel Pflicht – ist doch logisch. Ansonsten findet man mich eher unter den Bäumen, hier auf dem Hof mit meinen Kunden anstoßend und natürlich pendele ich immer regelmäßig zu unseren Ständen in der Stadt. 

 

Obstwein, Brände, Whisky und Gin zählen heute zu Ihren auch wirtschaftlich verwertbaren Steckenpferden. Wie kam es dazu?

1990 habe ich angefangen, als einer der ersten hier, Obstwein zu verkaufen. Mit meinem Kumpel Jens Wilhelm und einer 125er ES mit Wagen dran und Schild drauf. In Glindow an der Straße war nicht so viel los. Keiner hat angehalten! Auf’m Rückweg haben wir uns dann noch festgefahren. Naja, wir hatten ja Wein. Das Motorrad ist stehen geblieben, haben wir dann später abgeholt. Am nächsten Tag sind wir dann Muttis Trabi auf die Insel. Im Schilf gleich rechts neben der Brücke Tisch und Fläschchen aufgebaut und dann kamen die Leute. Westmark war uns natürlich lieber – wir hatten auch schon richtige Gläser, die haben wir in der Föhse ausgewaschen.
Ab 1991 war das dann schon ein bisschen organisierter – die Berliner kamen nach Werder und Unter den Linden gab es die ersten Stände. Das hat sich dann alles so weiter entwickelt und der Obstbrand kam durch unsere Verwandtschaft im Westen dazu. Die haben damals schon Appelbrand gemacht. Wir haben unsere Früchte da runter gefahren, 650 Kilometer eine Tour und dann wieder zurück. Uns wurde schnell klar, dass das so nicht auf Dauer geht und haben beschlossen, auf dem Siedlerhof selbst zu brennen. Im Jahr 2000 habe ich dann nochmal die Schulbank gedrückt, um das Handwerk von der Pike auf zu lernen. 

Was hat sich von da an denn geändert und was war ausschlaggebend?

Mit dem Euro begann für alle Obstbauern eine schwere Zeit. Plötzlich gab es Discounter, die Leute wollten lieber verpacktes Zeug aus Holland. Die Großbetriebe, die unser Obst weiterverarbeiteten, haben sich auf dem polnischen Markt bedient und die Preise fielen immer weiter in den Keller. Da muss man sich was einfallen lassen. Direktvermarktung war schon immer ein guter, wenn auch nicht der einfachste Weg. Schon kurz nach der Wende  sind wir mit unserem Hänger voll Obst los gefahren, haben uns einfach auf den Ku’damm gestellt. Der Duft von frischen Erdbeeren lockte Kunden an, die große Kundentraube dann die Polizei. Die wussten gar nicht, was sie mit uns machen sollten. Wir mussten mit auf die Wache – naja, die Polizisten gingen dann am Ende alle mit großen Körben voll Erdbeeren nach Hause, aber auf Dauer war das keine Lösung.
Auf den Wochenmarkt mussten wir uns auch erstmal einstellen – Handelsklassen? Ich hab immer gesagt – kommt alles aus Werder, 100 Prozent Spitzenware – ist doch klar. Dann in den 2000er Jahren wurde das mit der Direktvermarktung noch wichtiger und damit auch die Weiterverarbeitung zu Wein, Brand, Whisky und so weiter. Die Leute wollten wissen, wo die Sachen herkommen, was und wer dahinter steckt und im besten Fall auch erleben, wie das alles passiert. Das war so ein bisschen die Initialzündung zum Konzept Siedlerhof und Glina Destille, so wie sie heute hier stehen. Man kann es live erleben, bekommt authentisches Essen direkt vom Feld auf den Tisch und natürlich auch das Glas Wein dazu.

Seit kurzem sind Sie  Pro Agro Genussbotschafter für die Region Brandenburg. Was bedeutet Genuss für Sie? 

Das Erleben eines Produktes mit allen Sinnen. Wir sollten uns daran erinnern, welche Sinne uns zur Verfügung stehen und dass wir diese ganz bewusst nutzen. Es fängt mit dem Fühlen an. Bei Getränken sind es da die Gläser – ein schöner Rotwein gehört einfach in ein schönes Glas und nicht in einen ausgewaschenen Senftopp.
Als zweites kommt das Hören, auch sehr wichtig, denn um zu Genießen sollte man den Stress von sich schieben, also die Telefone mal aus machen und nicht alle paar Sekunden drauf schauen.
Die Umgebung und der Stress wirken sich ganz stark auf den Geschmack aus. Sitzt man am Meer, hält  inne und nimmt sich Zeit für das, was man vor sich hat, schmeckt es einfach ganz anders als im meist stressigen Alltag. 
Bei Führungen durch die Destillerie beispielsweise bitte ich die Gruppe am Feld um Ruhe, um zu hören, wie das Getreide im Wind rauscht.
Und natürlich das Auge – ein bisschen Garnierung muss halt sein. Ein nackter Mozzarella auf’m Teller ist nicht gerade eine Augenweide. Schön mit Balsamico und frischen Basilikumblättern – das sieht doch schon ganz anders aus.
Unser ältestes und am wichtigsten ausgeprägtes Organ ist die Nase. Uns können sie die Augen verbinden, die Ohren zuhalten, den Mund zukleben und noch die Hände auf den Rücken binden, aber wir riechen einfach, wenn gerade ein frischer Kuchen im Ofen backt. Die 30.000 – 40.000 Geruchszellen haben gegenüber den  2.000 – 3.000 Geschmackszellen schon einen großen Vorteil. Aber am Ende muss alles zusammenspielen und sobald einer der Sinne außer Kontrolle gerät, funktioniert die Genusswelt nicht mehr.

 

Was ist das besondere an Ihren Produkten?

Neulich auf der Messe fragte mich ein Besucher, warum unsere Produkte „so teuer“ sind. Ich habe ihm dann ganz in Ruhe erklärt, wie sich der Preis eines Produktes zusammen setzt. Es beginnt bei den Menschen, die dahinter stehen, die alle einen sicheren Arbeitsplatz haben, der vernünftig entlohnt wir. Die Menschen sind kranken- und rentenversichert, können einen Platz in der Gesellschaft einnehmen, weil sie es sich leisten können, zum Beispiel mit Freunden essen zu gehen. 
Ob der Flaschenhändler, der Grafiker für die Etiketten, die Pflücker, der, der es verpackt, sich um die Felder und Bäume  in den Plantagen kümmert und all’ die vielen anderen Menschen, die an dieser Wertschöpfungskette beteiligt sind – alle tragen zum Wert eines Produktes bei.
Und ich glaube, wir können behaupten, dass all diese Menschen hinter dem stehen, was sie tun, auf ihren Betrieb stolz sind und mit Herzblut hier arbeiten, wofür ich mich hier mal herzlich bedanken möchte. 
Hinzu kommt natürlich die Qualität der ursprünglichen Produkte, wie zum Beispiel unserer Birnen. Ich sage immer, bitte erntet das, was ihr denkt, heute essen zu wollen. Es mag ja Leute geben, die grüne Birnen mögen, aber ich gehöre sicher nicht dazu. Schön saftig und angenehm müssen sie sein. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir manchmal drei oder viermal in die Birnen müssen, aber das ist nicht schlimm, denn das Endprodukt ist nur so gut wie jeder einzelne Rohstoff, den man verwendet, um es herzustellen. 

Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?

Natürlich ein Whiskybuch über Schottland, England, Irland und Wales. Es geht um die Destillen, aber auch um die anderen Sehenswürdigkeiten in den einzelnen Regionen. Ich finde das wichtig, denn auch das ist Genuss, eine Region zu kennen, die Kultur einzuatmen und intensiv das ganze Flair einzuatmen. Sowas ist natürlich großartig.
Auch in Werder gibt es so viel zu entdecken – wenn ich Gästen anfange, zu erzählen, schauen die manchmal ganz verdutzt und sagen „Wir haben doch nur einen Tag“.
Tja, da wären wir wieder beim Thema Genießen und sich Zeit nehmen, aber manchmal ist eine kurze Auszeit besser als keine Auszeit.
Ach so – und Fachzeitschriften lese ich natürlich auch.

Haben Sie einen Lieblingsfilm oder -serie?

Im Fernsehen kam kürzlich eine Reihe über die Geschichte der Charité im ZDF.  
Es ging um das Leben und Wirken von Robert Koch, Benjamin Franklin und Rudolph Virchow. Teilweise in Beelitz Heilstätten gedreht und eben authentisch, so wie es damals war. Und das Beste ist, da kam keine Werbung.