Werder (Havel), 19. April 2023 – „Lost Places“, also verlassene Orte, sind geheimnisvoll, manchmal ein bisschen gruselig. Doch auch in Werder gibt es den einen oder anderen Ort, der diesen ganz besonderen Charme versprüht.
In unserer kleinen Reihe möchten wir Ihnen diese Zeitzeugen aus Stein vorstellen. Welche Geschichten erzählen diese alten Gemäuer? Wofür wurden diese stillen Riesen, die Werders Stadtbild zieren, ursprünglich gebaut? In „Verloren und Vergessen“ unternehmen wir eine Reise in die Vergangenheit, die all diese Fragen und noch ein paar mehr beantworten soll.
Die erste Erinnerung an die Friedrichshöhe liegt schon viele Jahre zurück: Auf dem Weg zum Baumblütenfest machten wir mit der Familie hoch oben auf dem Kesselberg Halt, wir Kinder tranken Brause, die Erwachsenen gönnten sich ein Gläschen Obstwein, die Musik spielte laut und der Blick hinunter war einfach spektakulär. Für uns Kinder war die herrschaftliche Gaststätte über den Dächern der Blütenstadt unglaublich beeindruckend.
Es folgten viele Jahre des Vergessens und Verfluchens – Denn es gibt wohl kaum eine Schulklasse aus Werder, die im Sportunterricht nicht die unzähligen Treppen hinauf zur Friedrichshöhe und wieder hinunter zur Eisenbahnstraße laufen musste.
Die letzten Besuche auf der Friedrichshöhe sorgten weniger wegen körperlicher Belastung denn aus Bestürzung für stockenden Atem. Wie sich die einstige Höhengaststätte in den vergangenen Jahren verändert hat, lässt wohl niemanden unberührt. Doch wie kam es eigentlich zum verfallenen Status quo? Wir haben Erhard Schulz vom Heimatverein Werder (Havel) gefragt:
Angefangen hat alles im Jahr 1894, als sich Friedrich Schmahlfeldt in der Eisenbahnstraße 126 niederließ und sich ein Wohnhaus baute. Ein Jahr später verkaufte er erstmalig auf „Friedrich seiner Höhe“ Obstwein zur Baumblüte. Nach der Saison stellte er den Antrag zum Bau eines Aussichtsturmes mit offener Verkaufshalle und wenige Tage später für eine Obstwein- und Bierschenke.
Wovon Bauherren von heute nur träumen können, war vor über 130 Jahren noch möglich: Bereits ein Jahr nach Antragstellung im Jahr 1896 war die Obstwein- und Bierschenke pünktlich zum Baumblütenfest fertig.
Begeistert vom Erfolg seiner Schenke baute Friedrich Schmahlfeldt im Jahr 1900 eine Küche sowie eine offene Halle und einen kleinen Saal mit Ziergiebel an. Zehn Jahre später wurde der Aussichtsturm um eine Etage erhöht und dadurch eine Wohnung für den Gastwirt geschaffen. Und im selben Jahr wurde der Bauantrag für den großen Saal mit einer Fläche von 635 m² und einer 60 m² großen Bühne gestellt. Bereits ein Jahr später wurde der Saal zum Baumblütenfest eingeweiht.
Das Ausflugslokal auf dem Kesselberg war eine von fünf Höhengaststätten in Werder (Havel). Totz der Konkurrenz, war die Gaststätte sehr beliebt – bei Touristen aber auch bei Einheimischen. Doch der 1. Weltkrieg und die anschließende Inflation gingen auch an der Friedrichshöhe nicht spurlos vorbei. Friedrich Schmahlfeld musste sein Wohnhaus in der Eisenbahnstraße verkaufen und wohnte von da an dauerhaft in der Friedrichshöhe.
Im Jahr 1926 übergab der 70-jährige Friedrich Schmahlfeldt die Gaststätte an seinen Schwiegersohn Paul Schikore. Dieser führte die wohl spektakulärste Attraktion ein, die die Blütenstadt je gesehen hatte: Eine 130 Meter lange Rutsche führte 1927 von der Friedrichshöhe bis hinunter zur Mausediele. So konnten die Baumblütengäste ganz bequem nach dem einen oder anderen Obstwein in die Tiefe Richtung Bahnhof sausen. Die Baugenehmigung sowie die Betriebserlaubnis für die spektakuläre Rutsche waren eigentlich nur ein Jahr gültig, dennoch finden sich auch auf späteren Aufnahmen noch Gäste, die die Rutsche benutzten. Der genaue Zeitpunkt des Abbaus ist nicht bekannt.
1934 wurde zusätzlich zum großen Festsaal noch ein verglaster Anbau mit einem kleineren Saal angebaut, dessen Einweihung aufgrund finanzieller Schwiegkeiten jedoch erst drei Jahre später erfolgte.
1941 starb Paul Schikore und seine Witwe Marie führte die Gaststätte weiter. Drei Jahre später wurde die Friedrichshöhe kurzzeitig als Lazarett und anschließend bis 1956 als Offizierskasino der sowjetischen Besatzungstruppen genutzt.
Im Jahr 1953 brannte der große Saal fast vollständig nieder, sodass nur noch die Grundmauern stehen blieben. Der Aufbau erfolgte noch vor dem Auszug der sowjetischen Truppen.
1957 übernahm die HO (die staatliche Handelsorganisation der DDR) die Gaststätte und es fanden viele auch überörtliche Großveranstaltungen statt. Auch zu DDR-Zeiten wurde auf der Friedrichshöhe weiter getrunken und getanzt über den Dächern der Blütenstadt. Umfangreiche Sanierungsarbeiten fanden zwischen 1973 und 1977 statt.
1977 gab es die größte Randale, die das Baumblütenfest in seiner bisherigen Geschichte erlebt hat: Über 200 betrunkene Jugendliche haben alle Glasscheiben im Saal der Friedrichshöhe zerschmettert. In einer Nacht- und Nebelaktion wurden daraufhin die Glaser der Gegend zusammengetrommelt, und am nächsten Morgen waren alle zerschmetterten Glasscheiben wieder ersetzt.
In der Wendezeit, im Jahr 1990, kaufte der Berliner Unternehmer Joachim Eck die Friedrichshöhe von einer Erbengemeinschaft, um sie zu verpachten. Kurz vor der Jahrtausendwende, 1998, wurde die Gaststätte endgültig geschlossen und das Gebäude ging an einen Insolvenzverwalter. Ein Jahr später wurde die Friedrichshöhe unter Denkmalschutz gestellt. Erhard Schulz vom Heimatverein Werder (Havel) sagt hierzu: „Vielleicht hätte hier auch ein Förderverein den Verfall verhindern können.“
Der Bauunternehmer Detlef Haase versuchte mit der Friedrichshöhe sein Glück und übernahm einige Jahre später die Gaststätte und eröffnete den Biergarten wieder. Sein Plan, mit den Einnahmen aus Tanzveranstaltungen und Konzerten das in die Jahre gekommene Gebäude zu sanieren, scheiterte jedoch, u.a. weil Genehmigungen des Vorbesitzers abgelaufen waren.
2018 ging die Friedrichshöhe an den Projektentwickler Dolphin Trust und das Schicksal des ehemaligen Ausflugslokals nahm seinen Lauf. Berichten zufolge hat diese Investmentgesellschaft deutschlandweit historische Immobilien angeworben und in Projektentwicklungsgesellschaften überführt. Beteiligungen wurden an Anleger im Ausland verkauft, mit der Aussicht auf sichere Renditen. Die historischen Gebäude sollten saniert und zu einem hohen Preis wieder verkauft werden. Dies war jedoch nicht der Fall. So entstand über die Jahre ein undurchsichtiges Firmengeflecht unter dem Namen „German Property Group” (GPG). Ende 2019 wurde die erste Strafanzeige gestellt. Insgesamt sollen deutschlandweit bis zu 100 Immobilien betroffen sein.
Wie die Zukunft der Friedrichshöhe aussieht, ist ungewiss. Als wohl bekanntester Lost Place der Blütenstadt thront sie weiterhin als stiller Zeitzeuge längst vergangener Prachtzeiten hoch oben auf dem Kesselberg. (wsw/ Fotos: heimatverein werder)












