Verloren und vergessen: „Gasthaus Goldene Kugel“

Werder (Havel), 5. Mai 2023 – „Lost Places“, also verlassene Orte, sind geheimnisvoll, manchmal ein bisschen gruselig. Doch auch in Werder gibt es den einen oder anderen Ort, der diesen ganz besonderen Charme versprüht. Im vergangenen Jahr haben der Heimatverein Werder (Havel) e.V. und der Werderpark gemeinsam eine Ausstellung organisiert und insgesamt sechs Gebäude vorgestellt. 

In unserer kleinen Reihe möchten wir auch Ihnen diese Zeitzeugen aus Stein vorstellen. Welche Geschichten erzählen diese alten Gemäuer? Wofür wurden diese stillen Riesen, die Werders Stadtbild zieren, ursprünglich gebaut? In „Verloren und Vergessen“ unternehmen wir eine Reise in die Vergangenheit, die all diese Fragen und noch ein paar mehr beantworten soll. 

Der Kugelweg in Werder (Havel) ist weithin bekannt. Er markiert nicht nur eine Bus-Haltestelle, sondern liefert auch eine direkte Verbindung von der Brandenburger Straße zur B1. Doch wissen Sie, woher der Kugelweg seinen Namen hat?

Im Jahr 1763 kaufte Martin Hintze senior ein Grundstück am Glindower See für 570 Reichstaler von den Rochows – einem alten märkischen Adelsgeschlecht. Hier betrieb Martin Hintze senior eine Ziegelei. Auf dem Dach des Gebäudes befand sich ein kugelähnliches Gebilde, das als Namensgeber für den Gasthof dienen sollte und später auch für den „Weg nach der Kugel“, wie er auf ersten Plänen genannt wurde.

Der erste Hinweis auf die Gastwirtschaft findet sich in einem Schreiben des Magistrats aus dem Jahr 1823. Der Ziegeleibesitzer Wilhelm Fritze wollte in unmittelbarer Nähe selbst einen Gasthof bauen. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt.

Auf einem Ausschnitt aus dem Deckerschen Kartenwerk Blatt 7 (1816-1819) ist erstmalig der Kugelweg eingezeichnet. Dieser Weg ist die kürzeste Verbindung von der Inselstadt zu dem Gasthof an der damaligen Post- und Heerstraße zwischen Berlin und Brandenburg.

Hier befanden sich auch die Haltepunkte für die Postkutschen der Clevischen Post, die von Potsdam in Richtung Magdeburg fuhr. Die nächste Post- und Umspannstation für den Pferdewechsel gab es in Groß Kreutz. Kantor Wilhelm Oeser beschreibt in seinem Bericht über das Leben um 1840 sehr anschaulich die Tücken einer Fahrt mit der Postkutsche: „Wer eine Fahrgelegenheit nach Potsdam benutzen wollte, mußte erst den Spaziergang nach der Kugel machen, dort den Personenwagen von Brandenburg abwarten, und wenn dieser besetzt war, wieder den Heimweg antreten.“

1844 befanden sich Ziegelei und Gasthof in Besitz der nächsten Generation: Ziegeleibesitzer und Gastwirt Carl Hintze lässt sich schräg gegenüber auf dem heutigen Gelände des Lidl-Supermarktes eine Turmvilla im italienischen Stil bauen. 

In den folgenden Jahrzehnten fand ein reger Gastwirt-Wechsel statt: 1845 verpachtet Carl Hintze den Gasthof an Hermann Gielow, zehn Jahre später übernimmt Ferdinand Fritze. Wiederum zwei Jahre später ist Ferdinand Lord – ein ehemaliger Polizeigendarm – neuer Kugelwirt. 1867 übernimmt Eduard Adler den Gasthof und 1881 erhält Louis Fieck die Konzession. Im Jahr 1895 gehört Felix Marcks der Gasthof „Zur Goldenen Kugel“, 1913 ist Otto Giese der neue Besitzer. 

Letzterer stellte noch im selben Jahr den Bauantrag für eine Sommerkegelbahn, der auch bewilligt und schlussendlich deren Bau noch 1913 umgesetzt wurde. 12 Jahre später folgten weitere Umbauten: Das Gastzimmer wird vergrößert, Klosetts werden eingebaut – die Sommerkegelbahn gab es zu diesem Zeitpunkt laut Bauzeichnung nicht mehr. 

Laut einem Verzeichnis der in Werder vorhandenen Fremdenzimmer von 1934 hat die Goldene Kugel zehn Betten angeboten. Zu DDR-Zeiten gehörte „Die Goldene Kugel“ zur staatlichen Handelsorganisation. 1969 wurde das marode Gebäude abgerissen, um Platz zu machen für den Parkplatz des Kulturhauses der „GPG-Frühling“ (Gärtnerische Produktionsgenossenschaft). 

Heute befindet sich an eben dieser Stelle die Karina Hauskrankenpflege GmbH. (wsw)

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