„ Villa Schönheit “
Werder (Havel), 23.Februar 2023 – „Lost Places“ also verlassene Orte sind geheimnisvoll, manchmal ein bisschen gruselig. Einer der bekanntesten in unserer Region sind wohl die ehemaligen Beelitzer Heilstätten. Doch auch in Werder gibt es den ein oder anderen Ort, der diesen ganz besonderen Charme versprüht. Im vergangenen Jahr haben der Heimatverein Werder (Havel) e.V. und der Werderpark gemeinsam eine Ausstellung organisiert und insgesamt sechs Gebäude vorgestellt. In unserer kleinen Reihe möchten wir auch Ihnen diese Zeitzeugen aus Stein vorstellen. Welche Geschichten erzählen diese alten Gemäuer? Wofür wurden diese stillen Riesen, die Werders Stadtbild zieren, ursprünglich gebaut? In „Verloren und Vergessen“ unternehmen wir eine Reise in die Vergangenheit, die all diese Fragen und noch ein paar mehr beantworten soll.
Wer durch die Straßen unserer Blütenstadt schlendert, kann sich über den Anblick vieler aufwendig restaurierte Gebäude aus dem letzten Jahrhundert freuen. Doch immer wieder stolpert man dabei über ein paar Häuser, die noch darauf warten, dass sich jemand um sie kümmert und sie aus ihren Dornröschenschlaf erweckt. Passend zum Valentinstag geht es in dieser Ausgabe um die „Villa der Schönheit“ oder auch „Villa Johanna“, die sich in der Nähe des Bahnhofs Werder (Havel) befindet. Wer vom oder zum Bahnhof über die Straße am Zernsee läuft oder fährt, dem ist das imposante Gebäude sicher schon ins Auge gefallen. Bis vor einer ganzen Weile befand es sich noch in guter Gesellschaft von zwei weiteren Villen, die jedoch irgendwann der Abrissbirne zum Opfer gefallen sind. Auch wenn dort heutzutage nur noch ein recht leblos wirkender Rohbau steht, war die „Villa Schönheit“ einst ein Ort, an dem die Schönheit des Menschen in der Natur künstlerisch dargestellt wurde. Im Jahr 1899 erbaute der Architekt Eduard Schenk das große Haus am Zernsee und lebte dort bis 1903. Danach zog der Potsdamer Theaterdirektor Friedrich Zschiegner ein und lebte dort, bis der Schriftsteller Karl Vanselow im Jahr 1912 in die Villa einzog. Er war der Herausgeber der Zeitschrift „Die Schönheit“, die der Villa ihren Namen verlieh. In der Zeitung ging es darum alles zu pflegen was das Leben schön und sonnig macht. Insbesondere wurde auch der Schönheit des menschlichen Körper gehuldigt.
Vielen Werderanern war das Geschehen in Villa und Garten damals ein Dorn im Auge. Vanselow, selbst ein schillernder Akteur der frühen Nacktkultur- und Sexualreformbewegung, nutzte nämlich den Garten der Villa um Aktfotos von jungen Mädchen zu machen. Wehrscheinlich einer der Gründe warum in der Villa am Zernsee 4 stets zahlreiche Künstler aus und ein gingen. Das kam bei den damals konservativen Werderanern nicht gut an. Von 1902 bis 1914 erschienen insgesamt 26 Ausgaben der Zeitung, bevor Vanselow sie wegen finanzieller Schwierigkeiten einstellen musste. Im Jahr 1918 verschwand Karl Vanselow dann aus Werders Adressbüchern und die Villa bekam einen neuen Bewohner. Dr. Josef B. Schneider zog ein und betrieb hier seine „Buchhandlung Kunst, Kultur, Sexualliteratur“. Aber auch dieser Herr war schon bereits vier Jahre nach Einzug wieder verschwunden.
1925 geht das Gebäude in den Besitz des Kaufmanns Bernhard Gebhardt über. Jedoch ist bereits im Jahr 1928 im Amtsblatt der Stadt Werder (Havel) zu lesen, dass die einstige „Villa der Schönheit“ zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben ist.
Danach wurde es eine ganze Weile still um das Gelände bis sich ein Ehepaar dem Gelände annahm. Eigentlich sollte hier ein Treffpunkt für Studenten entstehen. Jedoch gerieten die Planungen hierfür ins stocken. Zuletzt zauberte das Gebäude den Passanten ein Lächeln auf die Lippen, als es zur Weihnachtszeit mit einer riesen großen roten Schleife verziert wurde und aussah wie ein überdimensionales Geschenk. Und genau so war es auch gedacht – ein Geschenk und ein Gruß an die, die an der „Villa der Schönheit“ Tag ein und Tag aus vorbeilaufen und sich durch diese schöne Idee über einen ungewohnt gewohnten Anblick freuen konnten.(wsw)